von Hermann Müller (Mitglied des GGH)

Ein historisches Ereignis aus unserer Heimat soll hier geschildert werden, das damals in einer Welt geschah, die heute kaum mehr denkbar ist, und die daher mit ihrem eigenen Maß gemessen werden muß. Denn es handelt sich um einen Ketzerprozess, dem sich ein mächtiger Regent zu unterwerfen hatte, und durch den er um ein Haar auf dem Scheiterhaufen geendet hätte. Der weite Bereich der seelischen Bedrängnis und der religiösen Ängstigung in dem die Menschen, ob hoch oder niedrig, im Mittelalter befangen wa­ren, ist für den modernen Bürger unserer Zeit nicht mehr begreifbar; es sei denn, er berück­sichtigt mehr und mehr den politischen, kirchlichen und kulturellen Hintergrund der Ketzer- und Hexenverfolgungen.

Schon bei den Römern stößt man auf Hexen­wahn. Der Geschichtsschreiber Tacitus berichtet von Verbannungsstrafen gegen Hexer und Magier und von Todesstrafen bei Irrlehrern ge­gen die damalige Staatsreligion. Das frühe Chri­stentum lehnte alles sogenannte Teufelswerk wie Dämonenglauben, Tierverwandlungen, Bö­sen-Blick, Zauber- und diesbezügliche kultische Handlungen, die noch aus dem Heidnischen stammten, die aber dann in Irrlehren (Häresien) und somit Ketzereien ausarteten. konsequent ab. Dabei ging man zunächst weniger mit Härte als mit Überzeugungsstreben vor, wie der rö­mische Philosoph Tertullian, der 150 Jahre nach Christus lebte, bezeugt: ..“Es heißt nicht, unter Zwang die Religion befolgen, freiwillig soll sie angenommen und mit dem Herzen aus­geübt werden“. Und hundert Jahre nach ihm meint der hl. Athanasius, der berühmte Patriarch von Alexandrien, ,,nicht mit dem Schwert und nicht mit Hilfe von Soldaten predigt man die Wahrheit, sondern mit Klugheit und Überzeugung“.. Es ist ferner das Schreiben des hl.  Hila­rius, des Bischofs von Portiers, an Kaiser Konstantinus bekannt: „Wenn man im Dienste des wahren Glaubens Gewalt anwenden wollte, so würden ich und meine Brüder im Episkopat Galliens dies ablehnen, denn Gott will kein er­zwungenes Glaubensbekenntnis“.

Im wei­teren Verlauf der Zeit verhielt sich die Kirche skeptisch warnend gegen das Treiben der so­genannten Ketzer und war bemüht, in festen Anordnungen, wie z.B. dem ,,Canon Episcopi“, der auf eine Synode aus der Karolingerzeit zu­rückgeht, Grundfragen für Strafmaßnahmen ge­gen die stärker aufwuchernden Unsitten zu schaffen. Denn die Frömmigkeit der frühen Kirche ließ in der wachsenden Bevölkerung immer mehr nach, worüber eine  Heilige aus dem Mittelrheingebiet, Hildegard von Bingen, in ihren Schriften voll großartiger Geschichts­vision schreibt. Ihr Lebensbericht beginnt: ,,Im Jahre 1100 fing die Lehre der Apostel und das Feuer des Glaubens zu erkalten an, und um die­se Zeit bin ich geboren…,,Ein Zeitgenosse von ihr, der Religionsphilosoph Abälard, beklagt. sich über die ,,tausend Häresien“, die aufkeim­ten, und gegen die auch sein großer Rivale, der hl. Bernhard von Clairvaux, vergeblich ankämpfte.

Nämlich durch die Kreuzzüge wurde den Menschen der Blick geweitet. Im Orient lern­ten sie andere Religionen, liberalere Kulturen und Lebenssitten kennen, gerieten dabei in Widersprüche zu den Glaubenssätzen ihrer Kirche, der sie nicht mehr blind gehorchen wollten. Viel­mehr begannen sie, Gruppen zu bilden, eigene religiöse Ansichten zu entwickeln, die leicht im Übel der Verweltlichung endeten.

Schließ­lich erließ auch die Staatsmacht Gesetze gegen das Ketzerunwesen, als sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts Glaubensabfall zu Sektenbildun­gen und auch zu hemmungslosen Lebensauffas­sungen, in denen Pflichtbindungen in Ehe, Fa­milie und Ämtern in Frage gestellt wurden, häuf­ten.

Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen befürchtete, daß aus diesem mit dem Ketzertum wachsenden Autoritätsschwund letztlich die ge­samte Staatsregierung gefährdet werde. So er­ließ er im Jahre 1224 eine Konstitution gegen die Irrlehrer, die Gesetzeskraft in seinem weiten Riesenreich erlangte, das sich von Sizilien bis. Dänemark erstreckte.

Hierin war festgelegt: „Sämtliche Ketzer beiderlei Geschlechts werden zu ewigen Infamie verurteilt, sie sollen friedlos sein und der Acht verfallen. Überführte Irrlehrer  sind zum Ausreißen der Zunge oder bei schwe­ren Fällen zum Feuertod verurteilt“

Hier tritt die schlimme Wende ein, wo nicht mehr durch Überzeugung, sondern nur noch durch Grausam­keit gegen Ketzer vorgegangen wird. InDeutschland, dem des Kaisers ältester Sohn als König Heinrich VII. vorstand, verhielten sich die Lan­desfürsten zunächst abwartend und sehr zurück­haltend. Sie fanden des Kaisers Vorgehen zu hart, obwohl sie schon über die unglaublichen Strafmaßnahmen der staufischen Herrscher in Italien unterrichtet waren. Gewiß waren die Staufer hervorragende Kaiser, Staatsmänner mit Weitblick und Energie, aber die Chronisten jener Zeit berichten immer wieder über die maßlos grausamen Bestrafungen wie Verbrennen, Pfählen, Abhäuten und Verstümmeln. die sie bei den geringsten Vergehen anordneten.

Die deutschen Landesfürsten wurden noch durch Papst Innozenz III. bestärkt, der auf einem Konzil (IV.Laterankonzil) ein „einzig erlaubtes Untersuchungs- und Strafverfahren gegen Ketzer“ ausarbeiten ließ, und zwar nach den alten frühkirchlichen Bestimmungen.

Hierin hieß es: „….das Zusammenhalten der Ketzer muß durch ständi­ge Belehrung gelöst werden, denn der Herr will nicht den Tod des Ketzers, sondern dessen Be­kehrung.“ Zeigte sich der Irrlehrer jedoch unbußfertig, ja starrsinnig, so mußte er nach strenger Vorschrift dreimal durch Belehrungen zur Umkehr bewegt werden. Dabei sollte zwischen jeder vergeblichen Belehrung eine Pause von mehreren Tagen zur Besinnung liegen. Ver­harrte der Ketzer auch nach der dritten Belehrung­ und der dann folgenden Ermahnung in reue­loser Verstocktheit, dann erst sollte der Aus­schluß aus der Kirchengemeinschaft erfolgen, worauf das weltliche Gericht das Todesurteil fällte.

Weiter wurde von diesem Papst Innozenz III., der ein hervorragender Jurist war, festgelegt – daß dem Angeklagten die Punkte mitzuteilen sind, wegen denen er angeklagt wurde, damit er sich auch verteidigen könne und nicht bloß das von anderen Bezeugte sollte gelten. Vor allem sollten ihm die Namen der Zeugen ge­nannt werden, damit er gleich wußte, wer ihn anzeigte, um von vornherein Verleumdung und falsches Zeugnis auszuschließen.

Wäre man bei diesen Grundsätzen in der Ketzerbekämpfung geblieben, hätte sich eine erträg­liche Situation für alle Beteiligten ergeben. Aber es hing jeweils von Menschen ab, den man zu­viel Macht damit eingeräumt halte. Obwohl die Bischöfe als Inquisitoren allein in ihren Diöze­sen fungieren sollten, beriefen sie mit der Zeit Personen zu diesem überaus schwierigen Amt, die sich mehr und mehr ihrer Aufgabe nicht ge­wachsen erwiesen. Schließlich, als sich das Zu­sammenrotten von Ketzern besonders im Rhein­land häufte, wandten sich der Erzbischof Hein­rich von Köln und der Erzbischof Siegfried von Mainz an Innozenz III. um Sendung eines päpst­lichen Legaten, der in Deutschland als Kreuzpre­diger mit allen Vollmachten gegen die Ketzer vorgehen sollte. Und in Rom bot sich bald ein Mann hierzu an, der wie ein Verhängnis über die deutschen Lande kommen sollte: Konrad von Marburg. Ihm wurde als Kreuzprediger der Auf­trag erteilt, dem Ketzertum nördlich der Alpen mit aller Macht entgegenzutreten.

Über die Her­kunft Konrads, der zum gefährlichsten Gegner Graf Heinrichs III. von Sayn werden sollte, schwebt ein Dunkel. Sein Geburtsjahr ist un­bekannt, es fiel in die zweite Hälfte des 12. Jahr­hunderts. Aus dem Beinamen kann man schlie­ßen, daß er in Marburg oder in der Nähe gebo­ren war, vielleicht aus begütertem Geschlecht. Denn er konnte Studien an verschiedenen Hoch­schulen absolvieren, nach denen er Magister wurde. Ob er Ordensgeistlicher, Dominikaner, die vor allen der Inquisition dienten, oder Franziskaner oder gar Weltgeistlicher gewe­sen ist, alles dies ist nicht mit Sicherheit geklärt.

Schon früh wirkte er im Kreuzzug gegen die Katharer. den Irrlehrern in Südfrankreich, mit. 1212 war er laut Chronik bei einer großen Ketzerverbrennung in Straßburg zugegen. Zunächst übte Konrad von Marburg das Amt eines Visitators der Klöster und Leutpriester in Deutschland aus, da auch bei den Klerikern manche Übelstände sich ausgebreitet hatten. Weit ent­fernt von dem Kleiderluxus reich bepfründeter hoher Geistlicher jener Zeit trat Konrad im ab­geschabten Habit auf und griff hart durch.

Am Hofe des Landgrafen Ludwig IV. von Thüringer gewann er bald großen Einfluß. Im gelang es, den Landgrafen zur Teilnahme am V. Kreuzzug zu bewegen, in dem jener noch vor der Einschif­fung in Italien an einer Seuche starb. Der Gräfinwitwe, Elisabeth, deren Seelenführer er seit Jah­ren schon war, wies er nun nur noch den Weg in Askese und Aufopferung für die Siechen und Gebrechlichen in solch strenger Art, daß sie be­reits mit 24 Jahren an Entbehrung und Erschöp­fung starb. Man kommt heute bei der Beschrei­bung dieses harten und kantigen Mannes wohl am ehesten seiner Persönlichkeit nahe, wenn man bei ihm eine geistige Verdusterung, wenn nicht gar eine Geisteskrankheit vermutet, denn sein Fanatismus kannte mit der Zeit keine Gren­zen mehr.

Magister Konrad von Marburg nahm nachdem Tode der ehemali­gen Landgräfin Elisabeth von Thü­ringen nun stärker seinen eigentli­chen Auftrag von Rom wahr und predigte, sich gegen Westen wendend, bei großem Zulauf – vor allem im Rheinland gegen die Ketzer. Von Köln breitete er ein Netz von  Kund­schaftern aus, die ihm zutrugen, wo angeblich Ketzer vorwiegend im Ver­borgenen ihre Wühlarbeit taten. Dort­hin zog er dann sogleich, ließ sich die Beschuldigten vorführen, eröffnete die Prozesse mit Verhören, Bekeh­rungsversuchen, wieder Verhören und mehrmalige Belehrungs- und Überzeugungs-bemühungen, bis der genauen Prozeßvorschrift Genüge ge­tan war. Erst dann. folgten Entla­stung, Verwarnung mit Scheren des Kopfhaares oder Ausstoßung und Übergabe an die weltlichen Gerich­te. Nur mühsam konnte er so vor­wärtskommen, denn die von Inno­zenz III. herausgegebenen Richtli­nien zum kirchlichen Strafrecht gal­ten nach wie vor, obwohl jener Papst bereits 1216 gestorben war. Sein Pon­tifikat hinterließ eine Kirche, die festgegründet als stärkste Macht Eu­ropas galt, und die im 13. Jahrhun­dert zu einer solch umfassenden Ein­heit gelangte, wie sie später nie wie­der erreicht wurde. Innozenz siegte hauptsächlich mit geistigen Mitteln: mit Intelligenz, Autorität und tiefer Frömmigkeit. Während die Fürsten seiner Zeit im Wohlleben schwelgten, lebte er asketisch und seiner Kirche als Vorbild. In den 18 Jahren seines Pontifikates übergab jeder nachfol­gende Herrscher von Norwegen bis Sizilien seine Krone dem Papst und erhielt sie als Lehen vom Stuhl Petri zurück. Auch der heranwachsende Friedrich II. von Hohenstaufen weil­te lange unter seiner Obhut, bevor er sich später zum schärfsten Riva­len gegen die päpstliche Macht er­hob.

Auf Innozenz III. folgte Papst Honorius III., ein gebildeter und stiller Mann, der nur bestrebt war, die Ziele seine Vorgängers zu erfüllen und zu vollenden. Er bestä­tigte den Auftrag für Konrad von Marburg als Kreuzprediger gegen die Ketzer in Deutschland. Weiter gelang ihm eine Übereinkunft mit dem Stau­ferkaiser, der eine Beteiligung am V. Kreuzzug versprach, diese – aber immerwieder hinausschob.

Da starb 1227 Papst Honorius III., und ein schon älterer Mann bestieg den Stuhl Petri – Gregor IX. Er war ein leicht cholerischer Papst mit ­schnellen Entschlüssen, der sogleich die Auseinandersetzung wegen des Kreuzzugversprechens mit Kaiser Friedrich II. suchte.  Obwohl das in Süditalien versammelte Kreuzheer unter dem Oberbefehl des Kaisers bereits aufgebrochen war, wobei je­doch Friedrich wegen Krankheit vor­zeitig zurückkehrte, sprach Gregor den Bann gegen ihn aus. Doch küm­merte sich der Kaiser wenig darum und schiffte sich nach der Genesung 1228 nach Palästina ein. Hier gelang es ihm durch geschickte  Diplomatie bei der Ausnutzung eines Erbstreites zwischen den Sultanen mit dem Kreuzheer bis Jerusalem vorzudrin­gen und die Herausgabe der heiligen Stätten zu erreichen. Als König von Jerusalem setzte er sich selbst die Krone aufs Haupt. Erst dann kehrte er nach Italien zurück und nahm wie­der den Kampf gegen den Papst auf. In einem raschen Feldzug vertrieb er die päpstlichen Truppen, die in Kala­brien eingefallen waren, aus seinem Gebiet und  erzwang im Frieden von San Germano von Gregor IX. die Auf­hebung des Kirchenbannes.

Nun, da er freie Hand hatte, wollte der Kaiser schärfer gegen die Ketzer in Deutschland vorgehen, von wo ihm diesbezüg­liche schlimme Nachrichten gekom­men waren.

Konrad von Marburg kamen die neuen Gesetze, die auch vom Papst bestätigt wurden, äußerst gelegen, denn um wirksamer gegen die Ket­zerei kämpfen zu können, brauchte er sich an das übliche Untersuchungs ­und Bekehrungsverfahren nicht mehr zu binden, sondern konnte nun nach eigenem Gutdünken mit aller Voll­macht handeln. Auch gegen Hehler, Beschützer und Verteidiger von Ket­zern konnte er nach eigenem Ermes­sen vorgehen, sogar gegebenenfalls mit Interdikt, d.h. mit Verbot aller kirchlichen Amtshandlungen. Letz­teres war vor allem gegen Geistliche gerichtet, die ihm jegliche Unterstüt­zung versagten und ihn ungern in ih­re Gemeindebezirke ließen. Weiter wurden in den neuen Bestimmungen Belohnungen und Privilegien den heimlichen Helfern im Angeben, Fangen und Abstrafen der Ketzer zugesagt.

Eine solche Machtfülle konnte bei einem so fanatischen Mann wie Konrad nur gefährlich werden. Und so wurde einer fürch­terlichen Entwicklung Tür und Tor geöffnet. In seinem Verfolgungseifer war ihm der Gerichtsverlauf zur drei­maligen Bekehrung der Ketzer viel zu lang und unerträglich. Um die seiner Ansicht nach große und oft zusam­mengerottete Menge der Ketzer bes­ser bezwingen, d. h. bekehren oder exkommunizieren zu können, mach­te er nun kurzen Prozeß. Von der Annahme ausgehend, daß jeder an­gezeigte Häretiker schuldig, d.h. ein Ketzer auch sei, bedurfte es seiner Ansicht nach keines weiteren Zeu­genverhöres und keiner weiteren Ver­suche zur Bekehrung. Gestand der Angeklagte reuig sein Vergehen ein, so legte ihm der Magister eine meist geringe Buße auf, bei stärkeren Ver­gehen, etwa in Gemeinschaften zur Sektenbildung, ließ er den Reuigen die Haare abschneiden, warnte ein­dringlich vor Rückfall und ließ sie frei. Leugnete hingegen ein Ange­klagter oder beharrte vielleicht noch auf seiner ketzerischen Haltung, dann schloß er ihn sofort ohne Bekehrungs­versuch aus der Kirchengemeinschaft aus. Noch am selben Tage wurde dann das neue kaiserliche Edikt vollzogen, der Überführte dem weltlichen Ge­richt zugewiesen, das ihn zum Feu­ertod zu verurteilen hatte.

Schrecken und Verbitterung breiteten sich aus, zumal Konrad von Marburg auf sei­nem verhängnisvollen Weg mit zwei Männern zusammentraf, die Deutsch­land aus gleichem Grunde durchzo­gen wie er, mit dem Dominikaner Tors (Dorso, Droso) und einem an­deren Ketzerprediger namens Johan­nes dem Einäugigen und Einhändigen.

Diese beiden waren früher selbst Ket­zer gewesen und arbeiten mit List und Verschlagenheit gegen ihre ehe­maligen Mitverschworenen. Voll Hochmut behaupteten sie, wie die Chronik berichtet, schon an der blo­ßen Bewegung und an der Miene eines Menschen zu erkennen, ob er ein Ket­zer sei. Durch ihr dreistes Auftreten und das Beschuldigen oft hochgestell­ter Persönlichkeiten zogen sie die Mas­sen des urteilslosen Volkes an, wäh­rend sie mit Versprechungen der Zu­teilung des herrenlos gewordenen Gu­tes der Verurteilten beim hohen Kle­rus und weltlicher Obrigkeit niedere Instinkte zur unrechten raschen Be­reicherung zu wecken suchten.

Doch Konrad von Marburg lehnte dies ab, ihm ging es ausschließlich um die Er­haltung der reinen Lehre mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln. So blieb er weiter allein in seinem Wir­ken, das sich mehr und mehr am Mit­telrhein bemerkbar machte. Denn da­rin unterschied er sich von seinen Mitstreitern, daß er sich nicht scheute, auch Angehörigen des Adels den Pro­zeß zu machen. Hierüber berichten sowohl die ,,Wormser Annalen“, als auch die genauen Schilderungen, die der Erzbischof von Mainz, Siegfried III. von Eppstein, der als Erzkanzler des Reiches fungierte, an Papst Gregor IX. nach Rom sandte. So sind wir heute genauestens auch über den Ketzerprozess unterrichtet, den Konrad von Marburg einem damals mäch­tigen Regenten, dem Grafen Heinrich III. von Sayn machte.

In den erwähnten ,,Annales Wor­matiae“ und in ,,Gesta Trevirorum Mon. Germ.“ (Trierer Geschichtsauf­zeichnungen) wird Graf Heinrich III. als sittenstrenger Mann dargestellt, der seinen Glauben durch die Teil­nahme am Kreuzzug ins gelobte Land bewährt habe. Und in der Tat hatten wohl wenige Landesfürsten seiner Zeit mehr für die Kirche geleistet, als gerade das Sayner Grafengeschlecht.

Schon Graf Heinrich II. von Sayn hatte 1205 die im Brextal errichtete Praemonstratenser-Abtei gestiftet, de­ren Stiftungsurkunde Heinrich der Jüngere, der Sohn, anstelle seines er­krankten Vaters im Beisein des päpst­lichen Kardinallegaten Guido von Praeneste unterschrieben hatte. Der Onkel Heinrich des Jüngeren, Bruno von Sayn, hatte als Propst von Bonn die berühmte Armreliquie des Apo­stels Simon den Praemonstratenser- Chorherren seinerzeit besorgt, ehe er Erzbischof von Köln wurde. Es bestand schon früh eine gute Bezie­hung zwischen den Sayner Grafen und dem hl. Stuhl, so auch beim Schlichten von Grenzstreitigkeiten mit Abt Gerhard von Siegburg. Auf Empfehlung des Papstes Honorius III. hatte 1218 Graf Heinrich III. von Sayn, Mechthilde, die Tochter von Dietrich von Landsberg- (Meissen) Neuer­burg (Wied), geheiratet, wodurch eine langjährige Fehde zwischen bei­den Häusern beendet wurde. Mit Mechthilde zusammen gründete Graf Heinrich 1222 das Kloster Ma­rienstatt bei Hachenburg, dem Zi­sterzienser-Nonnenkloster Drolsha­gen überwiesen beide die dortige Kir­che und ließen 1230 in Neustadt. (Wied) eine Pfarrkirche errichten. Ferner erbauten sie in Köln das Klo­ster Sion; und nicht weit von Bonn gründeten sie die Deutschherren- ­Kommende Ramersdorf, dessen prachtvolle Gebäulichkeiten heute – leider von  hochgebauten Autobah­nen beeinträchtigt werden.

In der Kölner Chronik des Jahres 1233 (Chronica regia Coloniensis ad – annum 1233) wird auch die große Erregung geschildert, die das Auftreten des Kreuzpredigers Konrad von Mar­burg im Rheinland verursachte: ,,Über­all in Städten; Flecken und Dörfern, in Burgen und Katen wurde das er­barmungslose Gerichtsverfahren des ­schrecklichen Ketzermeisters zum Ge­spräch. Und wie es in solchen Fällen nicht selten geschieht, wurde stark übertrieben und die Zahl der wirklichen Verbrennungen auf dem Schei­terhaufen um das Zehnfache gesteigert, um das Grauen so recht zu ent­fachen.. ,“

Da ja kirchliches und weltliches Strafrecht Ketzerei als durchaus juristischen Tatbestand

ansah, schaltete sich oft auch des Kaisers Landgericht in Ketzerprozes­se ein, wenn es sich bei den Beschul­digten um hochgestellte Persönlich­keiten handelte. So auch bei der An­klage gegen den Regenten der Grafschaft Sayn, eine der mächtigsten – landesfürstlichen Herrschaften – am Rhein.

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Auf Burg Sayn war man nicht we­nig erstaunt, als eines Tages im Früh­jahr 1233 ein Gerichtsbote vom Landgericht Coblentz am unteren Tor Ein­laß begehrte. Schon von weitem her war der Mann als solcher zu erkennen, denn sein roter Überrock mit der grü­nen Armbinde und die engen, roten Beinkleider leuchteten schon beim An­stieg zur Burg hoch. Er trug weder Schwert noch Dolch, sondern nur ei­nen Stab in der rechten Hand. Eine graue Haube, von der eine rote dicke Kordel mit Quaste am Rücken hinabbaumelte, diente mit als Zeichen sei­ner Würde. Man ließ ihn nicht lange warten und öffnete das kleine Tor neben dem Haupteingang, denn er stand ja unter dem Schutz des Kaisers. Dann führte man ihn hinauf am hohen Pal­las entlang zum oberen Burgplatz, der sich im Schatten des mächtigen Berg­frieds breitete. Graf Heinrich, durch die Unruhe draußen aufmerksam ge­macht, stand auf der breitgeschwungenen Treppe unter dem gotischen Tor zum Pallas. – Seine große Gestalt wirkte noch majestätischer, als der Bote sich tief verneigte und ihm dann eine Pergamentrolle übergab. Die ru­higen Gesichtszüge des Grafen verfin­sterten sich jedoch, als er nach Auf­brechen des Siegels das Pergament auf­rollte und zu lesen begann. Die bereits zitierten ,,Wormser Annalen“ überlie­fern diese Begebenheit in Latein: ,,In­ter quosdum comitum Henricum de Seyna aggrederentur mirum fuit, quod comes ille, qui magnae crudelitatis esse decebatur, literas citatorias sibi a rna­gistro Conrado transmissas cum aequan aequanimitate suscepit. .,, (frei und kurz sinngemäß übersetzt: ,,Graf Heinrich von Sayn ist angeklagt bei Ketzerzusammenkünften zugegen ge­wesen zu sein und schlimme Greulichkeiten gesagt zu haben, worauf er von Magister Conrad vorgeladen würde.“

Während der Regent ungläubig das Per­gament nochmals überflog, hatte sich der Gerichtsbote, der auch Fronbote genannt würde, stillschweigend zurück­gezogen, denn seine Aufgabe war ja erfüllt. Rasch begab er sich zur unte­ren Burg und durch das kleine Tor hinab zum Ort, wo man ihn neugierig umstellte und ausfragte. Wie ein Lauffeuer ging die Kunde von der Beschul­digung des Landesherrn durch die engen Gassen bis hin zur Praemonstratenser- Chorherren- Abtei. Und so war der Abt Ludolph nicht sonderlich überrascht, als ein Bote von der Burg ihn zum Grafen bat.

Droben im Turmzimmer warf ihm voll verhaltenem Zorn Graf Heinrich das Pergament auf den Tisch und hieß ihn zu lesen. Abt Ludolph las ruhig und eingehend, ehe er fragend aufschaute und die hastigen Worte des Grafen vernahm, wonach jener in letzter Zeit auf einer Burg im Taunus bei einem Treffen seiner Standesgenossen im Laufe des Abends auch über Kirche und Papst gesprochen habe. Nachdenklich nickte der Abt und gab schließlich zu ver­stehen, daß der Graf die Angelegen­heit nicht ernst genug zu nehmen ha­be, denn er wisse ja auch genau, was diese Vorladung letztlich bedeute. Und nach langem Grübeln meinte er aufseufzend, am besten erkläre er dem Magister alles in gewisser Demut und könne auf Gnade hoffen, die auch vielen anderen, darunter auch seinesglei­chen, gewährt wurde. Er möge nicht vergessen, welch eine Macht ihm ent­gegenstehe, vertreten von einem Manne, der sie auch rücksichtslos gebrau­che. Es sei schon klüger, hier einen Ausgleich zu suchen. 

Empört rief Heinrich aus, wenn alle diesem Magister zu Kreuze kriechen, er werde dies nicht tun, und das Pergament vom Tisch fegend, meinte er, dieser hin­terhältigen Vorladung werde er keine Folge leisten !

Erst nach einer Weile, als der Graf sich beruhigt hatte, erklärte ihm Abt Ludolph in bedächti­gen Worten, daß Konrad als päpstli­cher Inquisitor durchaus gesetzlich das Recht zur Vorladung habe, und weiter habe dann der Beschuldigte, auch nach den strengen Geboten des Kaisers, zu erscheinen. Hier wäre Wi­derstand höchst gefährlich, denn hin­ter Magister Konrad stehe eben die Reichsmacht. Im übrigen sei Konrad von Marburg wohl ein strenger, ja er­barmungsloser Inquisitor, aber dennoch gerecht, falls sein Verhör keinerlei Verschulden feststellen würde. Graf Heinrich blickte ihn skeptisch an, und nach einer langen Pause erklärte er sich bereit, zu Konrad zu reiten. Doch bat er Abt Ludolph, ihn dorthin zu begleiten, da er als Kriegsmann im Umgang mit Rechts- und Schrift­gelehrten wenig Erfahrung habe. Und der Abt sagte ihm seine volle Unter­stützung zu.

Graf Heinrich III. von Sayn, auch der Jüngere und später der Große ge­nannt, stand im besten Mannesalter von ungefähr 40 Jahren (das genaue Geburtsjahr ist urkundlich nicht fest­stellbar), als er paar Tage später vor Magister Konrad erschien. Er stand auf der Höhe seiner Macht und trat auch dementsprechend in Begleitung zahlreicher gepanzerter Ritter, unter ihnen die weiße Gestalt des Praemon­stratenser-Abtes, vor das Tribunal. Ihn ergrimmte noch die unwürdige Benen­nung seiner Freunde aus dem Taunus, und er war fest entschlossen, dem In­quisitor die Stirn zu bieten. So trat er einem Mann gegenüber, der ebenfalls auf der Höhe seiner Macht stand, und der, wie die Trierer Geschichtsschrei­bung (Gesta Trevirorum, S. 318) be­richtet: ,,gestützt auf das Ansehen des Papstes niemand fürchtete und ihm ein König oder Bischof so viel galt wie ein armer Laie!“

Im Vorraum einer Hal­le blieben die Ritter zurück, als Graf Heinrich, hinter ihm Abt Ludolph, vor einen großen Tisch mit Kruzifix und brennenden Kerzen traten, hinter dem der Inquisitor mit zwei Dominikaner saß. Ehe jener; der in Schriftstücken blätterte, aufschaute, ging Graf Hein­rich schon zum Angriff über, indem er dem Magister laut die Worte zuwarf: „Kein rechter Mann behauptet, was er nicht beweisen kann! Wo sind die Zeu­gen für Eure Anschuldigungen?“  Dro­hend und gebieterisch schaute er sich um. Doch kalt und unbeeindruckt blickte ihn Konrad von Marburg an, ehe er sich erhob und leise, aber mit Nachdruck darauf hinwies, daß er, Konrad, hier im Auftrag des Papstes und des Kaisers stehe, und daß er alle Vollmachten habe, das Verhör so zu führen, wie er es für richtig halte. Schon wollte Graf Heinrich heftig entgegnen, als sich die schmale Gestalt Abt Ludolphs vorschob und nach kurzer Vorstellung, daß er mit Erlaubnis des Erzbischofs von Köln und seiner Ordensoberen als Burgka­plan und Seelsorger des Grafen für des­sen reinen Glauben zeuge, im Latein der Gelehrten zu erklären versuchte, daß nach den Prozeßstatuten des ehr­würdigen Papstes Innozenz III. und auch des jetzigen Gregor IX. Anschul­diger und Zeugen zugegen sein müssen. Auch in lateinischer Sprache belehrte ihn jedoch der Magister verärgert, daß die Fülle der Anklagen ihn zwinge, keine langen Verhandlungen zu füh­ren und daß er nach den letzten Ver­ordnungen des Kaisers von Ravenna ausdrücklich ermächtigt sei, Ketzerprozesse rasch und ohne lange Zeu­gen- und Beschuldigtenverhöre und auch Gegenüberstellungen abzuschlie­ßen.

Und in Deutsch fortfahrend und sich zum Grafen abrupt wendend, frag­te er ihn, ob er bei Zusammenkünften auf einer Burg im Taunus verächtlich über die hl Mutter Kirche so gespro­chen habe, daß schließlich ketzerische Ansichten ohne Scham obsiegten. Graf Heinrich nickte kurz und meinte mit leiser Ironie, was er denn unter ketze­rischen Ansichten überhaupt verstehe. Doch nun wurde auch Konrad von Marburg laut, als er die ihm hintertra­genen Behauptungen aufzählte: Ver­höhnung der Lehre Christi und der Kir­che zum Fasten, zum Kreuztragen, zum Selbstverleugnen, weiter Ableh­nung der Hölle und des Weiterlebens nach dem Tode, dagegen die Ansicht der Ketzer, vom Glauben ans Jenseits zu weichen und damit vom Glauben an Gott

Erschrocken entgegnete ihm Graf Heinrich, wer denn diese Un­geheuerlichkeiten gehört haben will? Er verlangte die Vorführung der Zeu­gen, wie es das geltende Landrecht auch hier vorsähe. Konrad verweigerte dies entschieden, da er die Zeugen spä­ter nicht schützen könne, worauf der Graf erwiderte, daß ohne Zeugenbe­weis die Anklage überhaupt nicht zu führen sei. Und er blieb fest dabei.

Kon­rad von Marburg, diese harte Abwehr nicht gewohnt, erkannte, so den Gra­fen nicht verurteilen zu können und um das Gesicht zu wahren, verwarnte er Heinrich III. mit aller Schärfe, – ehe er sich mit finsterer Miene umdrehte und den Raum verließ.

Graf Heinrich III. von Sayn hatte sich dem Inquisitor Konrad von Mar­burg gegenüber behaupten und unge­schoren im wortwörtlichen Sinne sei­ne Heimreise, antreten können. Doch war ihm klar, daß der Kampf erst be­gonnen hatte, wenn er auch zunächst seinen Kopf aus der Schlinge wußte. Denn schon kurze Zeit später erfuhr er, daß seine Freunde im Taunus eben­falls vorgeladen wurden, darunter die Grafen Solms und von Henneberg und auch eine Gräfin von Loos, die alle auf bloße Denunziation hin sich schimpflicher Strafen hatten unter­werfen müssen.

Da. sich nun die In­quisitortätigkeit Konrads stärker ins Erzstift Mainz verlagerte und hier gro­ße Erregung verursachte, richtete Erz­bischof Siegfried III. von Eppstein ein Schreiben an Papst Gregor IX., darin zu lesen war (Harzheim, Conc. Germ. III. S. 543): ,,Als Konrad von Marburg sich in Bingen aufhielt, ver­hörte er eine Frau, die erst 20 Jahre alt war und Adelheid (Alaidis) hieß. Dieselbe gab sich offen für eine Ket­zerin aus und erklärte, da schon ihr Mann wegen Häresie zu Grünburg verbrannt wurde, wolle auch sie des Feuertodes sterben. Doch wenn man ihr Glauben schenken wolle, werde sie die geheimen Ketzer und deren Hehler und Gönner namhaft machen. Konrad glaubte ihr, verschonte sie und schickte sie in ihren Geburtsort zurück, wo sie ihre Verwandten, Ver­schwägerten und auch Bekannten denunzierte; um sie auf diese Weise zu enterben. Dabei setzte sie sich bei diesen Hintertragungen mit einem ge­wissen Amfried als Zeugen in Verbin­dung, was zur Folge hatte, daß viele Unschuldige teils zum Feuertode, teils als reuige Sünder zum Scheren des Haares verurteilt wurden.“

Der Mainzer Erzbischof wußte sich keinen anderen Weg mehr, als sich direkt nach Rom zu wenden, da Konrad seine ernsten Vorstellungen mißachtete und weiter in rechtswidri­ger, unerhörter Weise gegen die Ketzer vorging. Ihm fiel dies nicht leicht, denn er konnte schwer beim Papst einen Mann verklagen, den er und andere seines Standes so sehr erbeten hatten. Da kam ihm ein Umstand entgegen, den er kaum erwartet hat­te. Denn der im Rheinland hochge­achtete Graf Heinrich III. von Sayn, Schirmvogt des St. Cassiusstiftes zu Bonn und Vogt des Kölner Domstif­tes, bat ihn um Einberufung eines sogenannten Sendgerichtes, für das auch eine Synode tätig sein konnte. Hier endlich würde Klarheit geschaf­fen und Einhalt geboten werden.

Der Graf war nämlich aufs Neue mit den unsinnigsten Anschuldigun­gen, er sei wiederum durch ketzeri­sche Reden und auch Handlungen hervorgetreten, zum Inquisitionsgericht Konrads vorgeladen. Es hieß, diese Behauptungen wären vor allem von den beiden Denunzianten Adelheid und Amfried dem Magister hinter­bracht worden. Die auf Pergament geschriebene Aufforderung, sich bei Konrad diesmal in Bingen einzufin­den, erreichte Graf Heinrich auf sei­ner Stammburg in Sayn. Er reiste so­fort mit gewappnetem Gefolge zu dem Inquisitor, dem er ohne Umschweife darlegte, daß er nicht gekom­men sei, um der Vorladung Folge zu leisten, sondern nur um zu erklären, daß er auf einem nach altem Recht und Herkommen urteilenden Gericht nach wie vor bestehe.

Konrad ent­gegnete gelassen, außer seinem Ge­richt gäbe es kein höheres, denn er stände ja hier im Auftrag des Papstes und des Kaisers.

Dann fordere er eben ein Sendgericht, entgegnete un­beirrt Graf Heinrich, ein Sendgericht, auch als Synodalgericht, das ihm, einem schuldlos Angeklagten, auch die volle Möglichkeit einer Verteidi­gung mit Gegenzeugen biete. Konrad, im Augenblick verblüfft, fragte schließ­lich, von wem er denn die Berufung des Sendgerichts erwarte? — Und der Graf verwies auf den Erzbischof von Mainz, in dessen Gebiet man ja stehe. Darauf meinte der Magister, daß der Erzbischof schon die Befugnis habe, ein Synodalgericht einzuberufen, doch möchte er jetzt schon klarstel­len, daß dieses Gericht nicht das Recht habe, seine päpstlichen und kaiserli­chen Vollmachten zu beschränken und sein Urteil zu entkräften. Er wer­de dies als päpstlicher Legat, der die Anklage gegen ihn vertrete, der Synode erklären, damit sie danach zu han­deln und zu entscheiden habe.

Diese versteckte Drohung störte Graf Heinrich wenig, hatte er doch hiermit erreicht, daß es für ihn eine Möglichkeit gab, seine Unschuld zu beweisen und unter Umständen da­mit dem Treiben des Inquisitors ein Ende zu setzen. Denn das sogenannte Sendgericht war ein altes deutsches Gerichts­verfahren, zudem auch eine Einrich­tung der kirchlichen Rechtspflege, die bei allen möglichen Verbrechen und Gesetzesübertretungen zuständig sein konnte. Wie beim weltlichen Gerichts­verfahren hatte der Angeklagte die Pflicht und das Recht, sich von der Beschuldigung zu reinigen, indem er selbst seine Unschuld beschwor und mindestens acht Eideshelfer, unbe­scholtene Männer, als Zeugen vorstel­len mußte. Waren dabei die Entla­stungszeugen in der Mehrzahl gegenüber den Anklagezeugen, so mußte Freispruch erfolgen.

Erzbischof Siegfried setzte die Sy­node, zu der die ganze Kirchenpro­vinz mit dem Klerus, den Suffraganbischöfen, sowie den Erzbischöfen von Köln und Trier geladen waren, auf den 25. Juli 1233 im Dom zu Mainz fest. Auch zum Königshof nach Frankfurt ritt ein Bote mit der Einladung an König Heinrich VII. von Hohenstaufen, wie auch die übrigen Reichsfürsten und Vasallen nach Mainz gebeten wurden.

So strömten Menschenmassen aus allen Ständen Ende Juli in die mit hohen Wehrmauern umschlossene Bischofsstadt Mainz, um sich zum mächtigen, sechstürmigen Dom zu begeben. Es war schon ein ungeheures Ereignis nicht nur für­ Rheinhes­sen, sondern für das gesamte Rhein­land und die angrenzenden Gebiete. Und vor dem alten Dom staute sich das Volk, das ganz im Geiste seiner Zeit weniger das Ketzerverbrennen verurteilte, als vielmehr die maßlose Willkür des gefürchteten Inquisitors dazu. Für das Volk galten damals Ketzer und Irrlehrer als gemeine Ver­brecher, die mit dem Tode bestraft werden sollten; nur verlangte es beim Prozeß hierzu mehr Gerechtigkeit, strikte Einhaltung der Gesetze nach der herkömmlichen Rechtsprechung, sonst war jeder einzelne gefährdet. Und so galt die Frage, ob der inzwi­schen gerühmte Graf Heinrich von Sayn vor den Sendschöffen auch die­se Gerechtigkeit finden, oder ob sich der allgewaltige Magister Konrad von Marburg durchsetzen werde.

Das lange Schiff des Domes, darin einige Tausend Menschen stehen konnten, war dicht besetzt. Und oben in dem weiten Halbrund des Chores, zu dem mehrere Stufen emporführten, bot sich ein prachtvolles Bild der in Gold und Edelsteinen verzierten und mit kostbaren Seiden gefertigten Gewän­der der geistlichen und weltlichen Fürsten, die zu beiden Seiten des Hochaltars saßen, davor in prunkvollen Ses­seln der Erzbischof Siegfried III. von Mainz, zu seinen Seiten der Erzbischof von Trier, Dietrich II. von Wied, und der Erzbischof von Köln, Heinrich I. von Müllenark. Auf der Evangeliensei­te (damals noch links) thronte der deutsche König Heinrich VII., des Kaisers Friedrich II. ältestes Sohn, ein noch junger Herrscher von 24 Jahren. Ihm gegenüber auf der Epistelseite saß die hagere Gestalt des päpstlichen Legaten, Magister Konrad von Mar­burg, in einer langen schwarzen Mönchs­kutte, schlicht und ärmlich, so daß er sich auffallend abhob von den ihn um­gebenden Prachtgewändern.

Nach einer vom Bischof von Straßburg zele­brierten und von den übrigen Bischöfen assistierten Messe begann die folgen­schwere, letztlich ganz Deutschland betreffende Gerichtsverhandlung.

Aus dem Halbkreis seiner Ritter am Fuße der Chortreppe trat nun Graf Heinrich III. von Sayn vor. Und ob­wohl er unten stand, imponierte schon seine außergewöhnlich große Gestalt. (Als der Trierer Weihbischof Johann Nikolaus von Hontheim ausgangs des 18. Jahrhunderts die Grabstätte Hein­rich III. öffnen ließ, maß man eine Körperlänge von 7 1/2 Fuß, das ent­sprach 2,25 Meter). — Ein schmaler Stirnreif, das Zeichen seiner Würde, glänzte auf, als er sich vor dem Erz­bischof und dann vor dem König ver­neigte und erwartungsvoll den Vorsit­zenden anblickte, der mit knappen Worten die Synode eröffnete: ,,Der wohledle Graf Heinrich von Sayn ist hier vor uns erschienen, Recht zu hei­schen in einer Angelegenheit, die er uns zunächst darlegen möge“.

Graf Heinrich dankte zuerst allen Anwesenden, vor allem den Reichsfürsten, gegen die er sich kurz verneig­te, daß sie ihm die Ehre erwiesen, zu seiner Gerichtssitzung gekommen zu sein. Dann schilderte er mit erhobener Stimme die Beschuldigung des Inquisi­tors Konrad von Marburg, indem er dessen Vorladung verlas und dabei auch die Stellen anführte, die ihn anklagten, bei nächtlichen Zusammen­künften von Ketzern auf einem froschartigen Dämon oder Krebs, den jene verehrten, geritten zu sein („Quem affirmabant equitasse in cancro“, Böhmer, Fontes II, S. 176). 

Bewe­gung des Unmutes, ja des Zischens kam in die dicht gedrängten Reihen im Kirchenschiff, die sich sogleich beruhigte, als Graf Heinrich erklärte, obwohl er die Anklagen sinnlos fände, wolle er dennoch den vorgeschriebe­nen Gerichtsgang einhalten. Den rech­ten Arm zum Schwur hebend, rief er laut: ,,Beim heiligen, allwissenden Gott schwöre ich, keine Ketzerei in welcher Form auch immer, getrieben zu haben“, und sich umdrehend fuhr er fort, ,,hier stehen als Zeugen meine Eideshelfer!“

In geschlossener Front traten die in der gesamten Breite des Hauptschif­fes hinter im stehenden Ritter vor und hoben aus ihren weiten Umhän­gen die gepanzerte Rechte zum Schwur: ein Bild trotziger Zusammengehörig­keit. — Die Fürsten und Prälaten zu beiden Seiten des Hochalters, die als Schöffen berufen waren, und die bis­her unbewegten Gesichtes zugehört hatten, hoben erstaunt die‘ Köpfe. Denn hier bahnte sich etwas an, das den Rahmen eines Send- oder auch Synodalgerichtes sprengte. Hier stand anscheinend nicht mehr ein einzelner vor Gericht, hier stellte sich vielmehr ein ganzer Stand entschlossen der Entscheidung. 

Doch der Vorsitzende, Erzbischof Siegfried von Mainz, versuchte weiter, den üblichen Gerichtsgang einzuhalten, indem er Magister Konrad von Marburg aufforderte, sei­ne Zeugen, die Belastungszeugen ge­gen den Grafen also, vorzustellen. Kon­rad, der bisher stumm dem Auftritt der Ritter zugesehen hatte, stand ru­hig auf und mit weiter Geste auf die in Wehr und Eisen da stehenden Rei­hen deutend, erklärte er, daß vor der Rache der Mächtigen sich seine Eideshelfer nicht zur Aussage bereitfänden. (Wormer Annalen) Weiter meinte er, daß eine Beschuldigung rechtens und keineswegs unsinnig sei. Graf Heinrich habe in nächtlichen Zusammenkünf­ten Krebs und Kröte geritten, denn hier sei nur das Scheußliche dieser Handlungen bildlich zum Ausdruck gebracht worden, und was da im ein­zelnen gesprochen und sich ereignet habe, könne er ohne Verletzung der Sittlichkeitsempfindungen besonders hier im Hause Gottes nicht näher be­zeichnen.

Graf Heinrich, der ringsum betretenes Schweigen feststellte, griff voll Zorn zum Schwert, um nun der gefährlich heranzüngelnden Beschul­digung in dieser niederträchtigen Be­hauptung mit raschen Vorstoß zu be­gegnen. Doch sprang der Erzbischof von seinem Sitz hoch und fiel ihm in den Arm und leitete ihn, auf ihn einre­dend, wieder die Stufen hinab, ehe er sich zu Konrad wandte und ihn ein­dringlich ermahnte, solche Beschul­digungen ohne Bestätigung durch vor­gestellte Zeugen strikt zu unterlassen. Er solle hier zu den Anklagen des Gra­fen, daß er mit aller Willkür die Pro­zesse führe, Stellung nehmen.

Und Konrad antwortete mit einem Schwall von Worten, bei der steigenden Flut der Häresie bleibe ihm gar nichts an­deres übrig, als die Ketzerprozesse möglichst kurz zu führen und rasch zu entscheiden, wozu ihm ja auch der Papst die Vollmacht erteilt habe.

Der Vorsitzende unterbrach ihn hier, in­dem er den Arm hob und klarstellte, daß er, Konrad, hier die genauen An­ordnungen des Heiligen Vaters falsch auslege, ja sogar mißbrauche, denn nach wie vor verlange Papst Gregor IX. das absolute Einhalten der Pro­zeßvorschriften zur Ketzerbekehrung und -bekämpfung nach den Dekreten und Beschlüssen der Kirche.

Es ent­spann sich sofort eine heftige Debat­te zwischen Konrad und dem Erzbi­schof, der, ohne es eigentlich zu, wol­len, nun ganz für den Sayner Grafen Partei ergriff. Magister Konrad blieb hierbei keineswegs zurückhaltend und in gewissem Respekt vor dem Vorsit­zenden, im Verlauf der Auseinander­setzung wurde er im Gegenteil lauter, als er mit schneidender Stimme da­ran erinnerte, daß letztlich auch der Kaiser für sein hartes und rasches Vor­gehen gegen die Ketzerflut sei, da ja offensichtlich durch sie die stärksten Pfeiler der staatlichen Ordnung zer­nagt würden: der Glauben an Gott, an die Unsterblichkeit der Seele, an das vergeltende Jenseits, an die von Gott, gewollte Obrigkeit des Diesseits, an die Heiligkeit des Eides, kurz alle Fundamente der menschlichen Ord­nung auf Erden.

Doch mit verhal­tener Stimme, die nur noch im oberen Chor zu hören war, meinte Siegfried von Mainz, daß er, Konrad, so wie er die Inquisition betreibe, diese nur zum Instrument des Kaisers werden ließe, der hierin ein wirksames Mit­tel nicht nur zur Stützung seiner Plä­ne, sondern leider auch zur Bemäch­tigung oft beträchtlicher Güter der Verurteilten sähe. Denn es sei wohl kein Geheimnis, wie ansonsten der Kai­ser wirklich zur hl. Kirche stehe!

Da hatte sich der Erzbischof im Eifer des Disputs zu weit hinreißen lassen, über den mächtigsten Mann des Rei­ches so zu sprechen. Aber gerade in den hohen kirchlichen Kreisen wußte man längst, welch ein Freigeist Fried­rich II. eigentlich war und in welch ketzerischer Weise, der Kirche nach, jener Hohenstaufe in Süditalien Hof hielt, so daß nicht von ungefähr spä­ter der greise Papst seine berühmte Enzyklika vom 20.3.1239 gegen den Antichrist Friedrich herausgab, die mit den gewaltigen Worten begann:

,,Aus der Tiefe des Meeres steigt die Bestie voller Namen der Lästerung, die mit der Pranke des Bären und dem Löwenmaul wie ein wütender Leopard ihren Rachen aufreißt zur Schmähung des göttlichen Namens

Alle im Chor oben schienen den Atem anzuhalten, und selbst Magister Konrad schaute entsetzt zum König hin, denn der war nun gefordert. Hein­rich VII., der bis hierhin eher gelang­weilt ohne besonderes Interesse der Verhandlung gefolgt war, erhob sich und stand, trotz kleiner zierlicher Sta­tur, die allen Staufern als Erbgut zu ei­gen war, mit Würde da, wandte sich aber nicht direkt gegen den Erzbischof sondern mehr zu den Schöffen hin, als er ruhig meinte, daß Magister Konrad durchaus rechtens handle und vorgeht, er habe, genau betrachtet, nur seine Schuldigkeit getan. Und dann scharf Siegfried von Mainz anblickend, er, Konrad, handle hier nach dem Willen des Kaisers, dem es letztlich um das Reich gehe, was ein Kirchenmann wohl schwerlich begreife.

Dann setzte sich der König und nickte kurz Konrad zu, der nun von dem Standpunkt der bloßen Recht­fertigung zu dem des Anklägers über­ging: ,,Zu den Vollmachten, die mir der Papst verbriefte“, rief er aus, ,,ge­hört auch die Festlegung, daß außer meinem Richterstuhle bei Ketzerpro­zessen kein weiteres übergeordnetes Gericht in Frage kommt. Somit ist mein Richtspruch, daß Graf Heinrich von Sayn schuldig ist, aus der Kirchen­gemeinschaft ausgeschlossen wird und vom weltlichen Gericht zum Tode auf dem Scheiterhaufen zu verurteilen ist, unumstößlich! Auch ein Synodal­gericht, wie das hiesige kann ihn nicht meinem Gericht entziehen.“ — und zu den Schöffen gewandt, machte er sie mit drohenden Worten auf die Fol­gen aufmerksam, die ihre Entschei­dung für sie selbst haben würde.

Aufblicken voller Bestürzung war auf den Rängen, und lebhaftes Gemurmel und Tuscheln quoll auf, denn der Prozeß hatte eine Wendung genommen. Schließlich wandte sich der Erzbi­schof von Trier, Dietrich II. von Wied, der mit den Hohenstaufen seiner Treue wegen im besten Verhältnis stand, an den König und redete auf ihn ein, denn der Mainzer Erzbischof wagte nicht mehr, das Wort an den Staufer zu richten. Nach einer langen Pause, in der unten am Fuße der Treppe Graf Heinrich das Schlimmste ahnte, erhob sich der König und entschied gebieterisch: ,,Der Verlauf dieses Sy­nodalgerichtes brachte keine vollstän­dige Klarheit, ohne die kein Urteil ge­fällt werden darf. Daher berufe ich in Bälde einen großen Königstag, damit dieser Fall hier gründlich untersucht und nach geltendem Recht entschie­den werde (Gesta Trevirorum, Mon. Germ. 5. 24,88). Die Synode hatte nichts dagegen einzuwenden.

Graf Heinrich atmete auf, obwohl er nun ziemlich isoliert da stand und begriff, daß diese Synode ihm nicht mehr helfen konnte. Aber konnte ihm beim Königstag endlich Entla­stung erteilt werden? Wohl kaum, denn von einem Hofgericht unter Vorsitz des Königs, bei dem wiederum Konrad von Marburg die Anklage füh­ren dürfte, hatte er nichts Gutes zu erwarten. Sein Schicksal stand in diesen Minuten auf des Messers Schneide, wenn er sich nicht doch noch herauswinden konnte. Denn beim Königstag konnte der Staufer eine alte Rechnung begleichen: Im Thronstreit zwischen dem Staufer Friedrich II. und dem Welfen Otto IV. hatten nämlich die Sayner Grafen, deren Stammburg auch in diesem Bürgerkrieg belagert wurde, auf Seiten König Ottos gegen die Staufer-Anhänger gekämpft, vor allen mit Bruno von Sayn, dem späteren Erzbischof von Köln, der, durch jahrelange Gefangenschaft geschwächt, bereits 1208 starb. Nach der Entschei­dungsschlacht von Bouvines anno 1214 mußten sich auch die Sayner Grafen zum Frieden mit dem Sieger Friedrich II. von Hohenstaufen beu­gen. Um damals die Gunst des neuen Herrschers zu erringen, nahm Graf Heinrich III. in der Krönungsmesse im Dom zu Aachen am 25. Juli 1215 nach einer Predigt des berühmten Kreuzzugspredigers, des Scholasters Johannes von Xanten, das Kreuz wie sein König auch im Gelübde zur Er­oberung des hl. Landes. Doch wußte man dort längst, daß sich der Sayner Graf bereits auf Bitten der Landgrä­fin Elisabeth von Thüringen, einer Nichte der Gemahlin Heinrichs, der Gräfin Mechthilde von Landsberg-Neuerburg, (Meissen) zum Kreuzzug entschlos­sen hatte.

Graf Heinrich mußte einschreiten, und zwar sofort, ehe sich die Synode vertagte. Und so rief er, zum König gewandt, mit lauter Stimme: ,,Ich danke meinem königlichen Herrn für sein Eintreten zu einer klaren Ent­scheidung, doch bitte ich zu bedenken, daß hier ein Königstag ebenso wenig richten kann wie ein Synodalgericht“ – das ja vom päpstlichen Legaten abge­lehnt wurde.

Graf Heinrich II. von Sayn wußte sogleich mit Sicherheit, daß auch ein königliches Hofgericht nicht vom päpstlichen Legaten Magister Kon­rad von Marburg anerkannt würde, falls das Verfahren für ihn, den Gra­fen, günstig ablaufen würde. Und da er auch nicht mit der Gunst des Kö­nigs rechnen konnte, rief er laut:

,,Auch ich lehne den Königstag ab. Dagegen fordere ich, die Angelegen­heit direkt dem hl. Vater, Papst Gre­gor in Rom, zur Entscheidung darzu­legenl“

Dies war so außergewöhn­lich, daß für einen Augenblick große Stille sich ausbreitete, ehe ein Sturm des Beifalls losbrach, vom unteren Kirchenschiff heranrollend bis hoch zu den Rängen der Bischöfe, die nun auch zustimmend nickten und sich von ihren Plätzen erhoben, damit klar andeutend, daß für sie nun die Sache entschieden war. Wohl versuchte Ma­gister Konrad, der mit seinem eigenen Argument, daß er nur dem Papst ge­genüber in seinen Gerichtsverfahren verantwortlich sei, vom Sayner Gra­fen überspielt wurde, den König noch­mals zum Eingreifen zu veranlassen. Doch fast betroffen sah der Staufer in das Beifallsgewoge, das seine Ab­sicht zu seinem Gericht über den Hau­fen warf und zum Einlenken mahnte. Rasch einigte man sich nun auf die Entsendung einer Abordnung, und mehrere Vertreter verschiedener Domschulen, versiert im Kirchenrecht, er­klärten sich zur Romfahrt bereit. Aus diesen wählten die Schöffen den Ma­gister Volzo von Worms, den Scho­lasticus Konrad von Speyer und andere, insgesamt fünf Leute unter Lei­tung des Domdekans von Mainz (Boeh­mer, Fontes II.).

Auch der König gab zu verstehen, er werde ebenfalls eine Hofabordnung zu Papst Gregor IX. senden, die auch mit dem Kaiser Fried­rich II., seinem Vater, darüber verhan­deln solle.

Dann erhob sich der Erz­bischof von Trier, Dietrich von Wied, und beendete die Synode mit den Wor­ten: ,,Ich erkläre euch allen, Graf Hein­rich von Sayn geht von hier als ein rechtgläubiger Mann und keiner Schuld überführet “ (Wormser Annalen)

Zusammen mit den Sendboten des Königs erreichte wenige Wochen spä­ter die Synodalabordnung den Som­mersitz Gregors IX. in Anagni, seinem Geburtsort, wohin sich der 86jährige zur Erholung zurückgezogen hatte. Gregor stammte aus dem Geschlecht der Grafen von Segni, von dem einige Historiker auch das alte Grafengeschlecht vor Sayn (Saina, Sena) ab­leiten wollen, zumal das Schildwap­pen beiden Häuser mit dem Geparden sich fast gleicht. Als Kardinal errang Gregor die Freundschaft des großen – Heiligen Franz von Assissi, ehe er als Neffe des überragenden Papstes Inno­zenz III. (1198-1216) den Stuhl Petri bestieg.

Huldvoll empfing er in Beglei­tung zweier Kardinäle die beiden De­legationen aus Deutschland und be­grüßte sie mit den Worten: ,,Seid will­kommen, geliebte Söhne, möget ihr uns berichten in einer Sache, die uns bisher nur in Botschaften dargelegt wurde, damit der Wahrheit zum Siege verholfen werde“.

Und gut vorbereitet begann Magister Volzo von Worms als Sprecher der Abordnung Seiner Heiligkeit in angemessenem Vortrag in Latein, den gesamten Hintergrund des Geschehens zur Bekämpfung der Ketzerei in Deutschland bis zur unerträglichen Willkür des päpstlichen Legaten, Ma­gister Konrad von Marburg, zu schil­dern. Er verschwieg hierbei auch nicht das Treiben der anderen Ketzerrichter Dorso und Johannes, dem Verkrüppel­ten, die meist nach dem Grundsatz vorgingen: „Es sei besser, daß von hundert Angezeigten neunundneunzig unschul­dig sterben, wenn dabei nur ein einzi­ger Ketzer getroffen werde.“ (Annales colonienses, max, I. S. 2)

Unbeweglich hörte sich der Papst die Schilderung an, sein erschöpftes Gesicht wurde noch bleicher, und sei­ne dunklen Augen ruhten starr auf dem Vortragenden bis zum Ende. Dann Verbarg er sein Antlitz in seinem Händen und   Zittern ging durch die greise Gestalt ehe er sich nach einer Weile aufrichtete und gefaßt sei­ne Gegenüber anschaute. Mit leiser Stimme sprach er: „Wir sind erschüttert, daß ihr ein so unerhörtes Ge­richtsverfahren so lange bei euch ge­duldet habt, ohne uns hierüber längst benachrichtigt zu haben“ — (Wormser Annalen).

Doch der Domdekan von Mainz verwies in aller Demut auf die letzten Schreiben seines Erzbischofs, die, wie sich nun herausstellte, nicht in die Hände des Papstes gelangt wa­ren. Alle schwiegen.

Mit Nachdruck gebot schließlich Gregor die strikte Einhaltung seiner Bestimmungen hinsichtlich der Ket­zerbekehrung und der gegebenen­falls nach vergeblichen Bekehrungs­bemühungen notwendigen Ketzerverurteilung. Dann nach einer Weile Stil­le und Besinnung richtete sich der Papst auf, seine hagere Gestalt straffte sich, als er fest entschied: ,,Wir ent­ziehen hiermit dem Magister Konrad von Marburg alle ihm von uns verlie­henen Vollmachten und erklären alle seine rechtswidrigen Handlungen für ­nichtig. Ein solches Elend, wie ihr uns geschildert habt, dulden wir nicht!“ (Talem miseriam, ut nobis dixistis, non permittimus! (Wormer Annalen, S. 177). Dann segnete er sie alle zum Abschluß und verließ, gestützt von den beiden Kardinälen, den hohen Raum, in dem er sie empfangen hatte. Rom hatte gesprochen! — Damit war es endgültig entschieden.

Doch ehe diese für den Grafen Hein­rich III. von Sayn äußerst günstige Botschaft über die Alpen zum Rhein gelangte, überstürzten sich hier die Ereignisse. Denn der Inquisitor pre­digte nach wie vor gegen den Sayner Grafen und rief schließlich zum Kreuz­zug gegen seine Stammburg auf. Hein­rich III. wußte, was religiöser Fanatis­mus bei den Massen ausrichten konnte, die nur zu leicht zur Gewalt und zum Beutemachen begeistert werden konn­ten. Er stand immer stärker in der Zwangslage, rasch handeln zu müssen, bevor sich ein Heer von Fanatikern und Aben­teuern gegen Sayn sammelte und mit Feuer und Schwert in seine Grafschaft einfiel.

Als sich der Inquisitor von Mainz nach Marburg, wo er sein Domi­zil hatte, begeben wollte, bot ihm der Erzbischof, der ihn auf dieser Reise nicht mehr sicher wußte, bewaffnete Begleitung an, doch lehnte Konrad, der über ein Jahrzehnt wie ein Sou­verän durch die Lande gezogen war, hochmütig das Angebot ab, da ihm keiner was anhaben könne. Als er aber auf seiner Heimfahrt am 30. Juli 1233 am Löhneberg saynisches Ge­biet durchreiste, ließ ihn Graf Hein­rich von seinen Rittern, man nannte die von Dernbach, Herborn und Schweinsberg u.a., abfangen und kur­zer Hand erschlagen.

Der Leichnam wurde neben dem der Landgräfin Eli­sabeth von Thüringen, die zwei Jahre später heiliggesprochen wurde, in der Hospitalkirche des Deutschen Ordens in Marburg beigesetzt. Die große Hei­lige überführte man dann später 1236 in die hierfür eigens erbaute St. Elisa­bethkirche in derselben Stadt.

König Heinrich VII. rief zum 2. Februar 1234, als inzwischen seine Delegation aus Italien zurück war und auch in Deutschland sich die Gemüter über die Ausschaltung des gefürchte­ten Inquisitors beruhigt hatten, ein Fürstengericht zum Hofe nach Frank­furt zusammen, das die Mörder Kon­rads verurteilen sollte. Auch Graf Heinrich III. von Sayn war vorgela­den.

In Frankfurt fand der Königstag unter großer Anteilnahme weltlicher und geistlicher Fürsten statt. Man gab dem Sayner Grafen volle Gelegenheit zur ,,Purgatio canonica“, zur Reini­gung seiner verdächtigen Gläubigkeit, die er ja seit Mainz angestrebt hatte und die auch Papst Gregor bestätigte.

Dann stellten sich die Mörder Kon­rads vor das Gericht, wo sie mit mil­den Strafen verurteilt wurden, jedoch mit der Bedingung, um der Sünde des Tötens willens die Vergebung der Kir­che zu erlangen, die ihnen aber der Papst in Rom erst nach hartem Büßen gewährte.

Hierbei kam es noch zu er­regten Szenen in Frankfurt, als Bi­schof Konrad von Hildesheim und der Dominikanerabt Otto in einer gesonderten Versammlung der Prä­laten den Inquisitor Konrad verteidi­gen wollten. Denn auch dort überwo­gen seine Gegner. Als auch solche hinzukamen, die Konrad fälschlich als Ketzer scheren ließ, erreichte die Auf­regung solche Ausmaße, das Konrads Verteidiger für ihr Leben fürchteten. Es fiel sogar das Wort, man solle seinen Leichnam ausgraben und als den eines Häretikers verbrennen (Mon. Germ. XXII, 932).

Man empfand dort wie auch im ganzen Land allzu deutlich, wie sehr dieser Inquisitor durch seine unmenschliche Härte sein Schicksal verdient hatte. Auch dem anderen Ket­zerrichter Dorso erging es nicht besser. Als er sich in Friedberg aufhielt, ließ ihn der Rat der Stadt fassen und auf­hängen. So verschwand auch Johannes. der Verkrüppelte, und ward nie mehr gesehen. Die große Wende war endlich eingetreten dank dem mutigen Vor­gehen Graf Heinrichs III. In der Gesta Trevirorum ist nachzulesen: ,,Der Graf von Sayn ward zu einer Mauer im Hause des Herrn, so, daß eine un­zeitgemäße und blinde Wut, die zwi­schen schuldig und unschuldig keinen Unterschied machte und, vom Bauer angefangen, Bischöfe und Fürsten, Mönche und Laien verketzern wollte, sich nicht weiter ausbreiten konnte.“ (Monum. Germ. XXIV, S. 402)